Katalytische Licht-induzierte Deracemisierung (CALIDE)
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Moleküle, die ein stereogenes Element enthalten (z.B. Zentrum, Achse oder Ebene), existieren in zwei Formen, die nicht deckungsgleich sind und die sich wie Bild und Spiegelbild verhalten. In organischen Molekülen ist das häufigste stereogene Element ein sp3-hybridisiertes Kohlenstoffatom mit vier verschiedenen Substituenten, wie es uns zum Beispiel in Aminosäuren wie Alanin begegnet. Das Phänomen, dass geometrische Figuren mit gleichen skalaren Eigenschaften nicht zur Deckung gebracht werden können, wurde von Lord Kelvin vor mehr als einem Jahrhundert mit dem Begriff Chiralität bezeichnet (weitere Details hierzu unter: https://crc325.de/fuer-alle/der-trr-325-erklaert/chiralitaet). Chirale Moleküle spielen eine enorm wichtige Rolle in allen Bereichen der Naturwissenschaften, besonders ausgeprägt in den Lebenswissenschaften. In der Tat sind alle molekularen Werkzeuge der Natur wie z. B. Enzyme, Rezeptoren oder Gene chiral, und sie interagieren in unterschiedlicher Weise mit dem einen oder anderen Enantiomer eines chiralen Moleküls. So kann ein Enantiomer einer Verbindung eine positive, heilende Wirkung haben, während das andere Enantiomere einen unerwünschten, bösartigen Effekt zeigt. Das ist der Grund, dass chirale, pharmazeutische relevante Moleküle typischerweise auch als individuelle Enantiomere getestet werden, und es gibt eine zunehmende Zahl von Medikamenten, die in enantiomerenreiner Form verabreicht werden. Der Markt für chirale Verbindungen wächst stetig und hat ein Umsatzvolumen von über 1011 € pro Jahr.
In einer konventionellen Reaktion, in der ein achirales Substrat in ein chirales Produkt umgewandelt wird, entstehen beide Produktenantiomere in gleichen Teilen, also in einem Verhältnis von 1:1. Das Produktgemisch wird als racemisch bezeichnet, und die Enantiomere können nicht über physikalische Verfahren wie Destillation, Chromatographie oder Umkristallisation getrennt werden. Stattdessen werden dafür sehr ausgefeilte und kostspielige Methoden benötigt, die eine andere chirale Komponente benötigen, z. B. die Chromatographie an einer chirale Phase. Aber sogar dann, wenn eine Trennung erfolgreich ist, ist eines der beiden Enantiomere häufig nicht erwünscht und verbleibt als Abfall. Die asymmetrische Katalyse bietet einen möglichen direkten Zugang zu enantiomerenreinen Verbindungen, aber die Technologie ist nicht generell auf jedes gegebene chirale Produkt anwendbar und kann sehr kostenintensiv sein, sowohl was die Kosten für ein katalytisch aktives Metall angeht als auch was den Aufwand für die Synthese von chiralen Liganden und Organokatalysatoren betrifft. Auf der Suche nach alternativen Wegen zu enantiomerenreinen Verbindungen kommen sogenannte Deracemisierungen in Betracht. Das racemische Gemisch einer herkömmlichen Reaktion wird dabei einem Prozess unterworfen, in dem es gezielt in ein Enantiomer überführt wird (weitere Details hierzu unter: https://crc325.de/fuer-alle/der-trr-325-erklaert/entropie). Aus entropischen Gründen kann dieser Vorgang in einem thermischen Gleichgewicht nicht stattfinden, und er kann nicht mit einem einzelnen Katalysator thermisch durchgeführt werden. In einer richtungsweisenden Studie unseres Arbeitskreises (Nature 2018, 564, 240-243) konnte gezeigt werden, dass man die Grenzen der thermischen Reaktion mit Hilfe von Licht überwinden kann.
Es ist das Ziel des CALIDE-Projekts Methoden zu entwickeln, die– zum ersten Mal – die Deracemisierung einer breiten Vielfalt von Verbindungen auf katalytische, hochselektive Weise erlauben. Der photochemische Prozess beinhaltet die temporäre Auslöschung des stereogenen Elements und seine Neubildung über ein kurzlebiges Intermediat. Ein breit angelegtes Forschungsprogramm zielt darauf ab, konzeptionell neuartige Zugänge zur Deracemisierung von wichtigen Verbindungsklassen zu entwickeln. Das Projekt wird die Deracemisierung von racemischen Substraten angehen, die ein Chiralitätsachse, eine Chiralitätsebene oder ein stereogenes Kohlenstoffatom aufweisen. Es zielt nicht nur auf die Entwicklung neuer Methoden ab, sondern auch auf ein fundamentales Verständnis der Schlüsselprozesse, die den individuellen Umwandlungen zugrunde liegen. Keine energieaufwändigen Ressourcen (Temperatur, Druck) werden benötigt, um die Deracemisierung voranzutreiben. Ausschließlich Licht, idealerweise Sonnenlicht, wird als Energiequelle verwendet. Es ist die Vision dieses Projekts, dass photochemische Deracemisierungen sich zu einer der tragenden Säulen entwickeln, auf denen die zukünftige Herstellung von enantiomerenreinen Verbindungen ruhen wird.
Projektbeginn: 1. Januar 2025